Menschen mit Suizidgedanken
finden in der Hospiz- und Palliativbewegung ein Angebot zum Leben, nicht zum Sterben
Leben bis zuletzt lebenswert gestalten
In der Hospiz- und Palliativbewegung in NÖ stehen viele Menschen Seite an Seite, um sich voller Euphorie und hochkompetent einer optimalen Versorgung schwerkranker, sterbender und trauernder Menschen zu widmen. Begegnung und Abschied, Leben und Sterben gehören zusammen. Ein Leben bis zuletzt lebenswert und mit bestmöglicher Lebensqualität zu gestalten, ist die zentrale Aufgabe der Hospizbewegung. Der Wille des betroffenen Menschen ist dabei Entscheidungsgrundlage und die Auseinandersetzung mit Sterbewünschen von Betroffenen wird und wurde immer ernst genommen.
Das Urteil des Verfassungsgerichtshofes ist anzuerkennen. Zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber mit zwei Gesetzen darauf reagiert hat: dem Sterbeverfügungsgesetz das seit 1.1.2022 in Kraft ist und dem Ministerialentwurf zum Hospiz- und Palliativfondsgesetz.
Hospiz und Palliative Care steht für bestmögliche Lebensqualität bis zum Lebensende und ein würdiges Sterben. Diese hospizliche Haltung ist Grundlage der spezialisierten Hospiz- und Palliativbetreuung, aber auch vieler Pflege- und Betreuungszentren in NÖ. Hospiz und Palliative Care hat nicht ein todbringendes Medikament im Blick, sondern das Sterben wird als natürlicher Prozess des Lebens begleitet. Dazu gehört es das Sterben zuzulassen, es weder hinauszuzögern noch es zu beschleunigen oder gar den Tod durch ein Präparat zu verursachen.
Stellungnahme Dachverband Hospiz NÖ
Im Dachverband Hospiz Österreich haben sich Expert*innen der Hospiz- und Palliativbewegung in einer Arbeitsgruppe intensiv mit dem Thema assistierter Suizid beschäftigt und eine sehr differenzierte Stellungnahme dazu abgegeben, die auf der Homepage des Landesverbandes Hospiz NÖ abrufbar ist.
Die Bezeichnung Sterbeverfügung ist aus unserer Sicht irreführend und wird der Tragweite der zu setzenden Handlung, der Unterstützung bei der Selbsttötung, nicht gerecht. Der Begriff stellt eine Verbindung zum positiv besetzten Begriff der Patientenverfügung her, obwohl beide „Verfügungen“ eine gegensätzliche Grundintention aufweisen. Während eine Patientenverfügung nur dann zur Anwendung kommt, wenn die betreffende Person nicht mehr fähig ist, den eigenen Willen auszudrücken, gilt im Gegensatz dazu eine Sterbeverfügung nur dann, wenn die volle Entscheidungsfähigkeit der Person gegeben ist. Dies sehen wir als verwirrend und unklar und fänden den Begriff „Suiziderklärung“ eindeutiger.
Jeder Suizid ist einer zu viel
Jeder Suizid ist einer zu viel. „Der Suizid gibt keine Antworten, sondern reißt viele Fragen auf“, heißt es im Suizid-Report 2021 der WHO. Im Falle des assistierten Suizids kommt erschwerend hinzu, dass ein Außenstehender involviert wird, die Selbsttötung eines anderen zu ermöglichen, und damit seine Zustimmung signalisiert. Wenn ein Mensch verzweifelt ist, dann braucht er vor allem andere Menschen, die sich ihm zuwenden, die menschliche Wärme und Nähe erfahrbar machen. Hospiz- und Palliative Care hat einen großen Schatz an Erfahrungen und gesichertem Wissen – diesen zu nutzen und weiterzuentwickeln, ist das Gebot der Stunde.
Der Gesetzesentwurf regelt vorwiegend die Voraussetzungen und den Erhalt der Sterbeverfügung zum straffreien Bezug eines letalen Präparats, dass der suizidwillige Mensch selbstständig einnehmen muss. Die Durchführung der Selbsttötung wird durch das Gesetz nicht geregelt. Aus unserer langjährigen praktischen Erfahrung in der Begleitung schwerkranker und sterbender Menschen erwarten wir als Resultat aus dieser Nicht-Regelung gravierende Belastungen für alle Beteiligten und ein enormes Konfliktpotential.
Die größte Sorge aber ist, dass leidende und beeinträchtigte Menschen unter Druck geraten, einen assistierten Suizid zu begehen, weil sie anderen nicht zur Last zu fallen wollen. Wir befürchten das Begriffe wie Hilfe, Barmherzigkeit, Würde, Mitgefühl, Liebe eine beliebige Vieldeutigkeit erfahren und ihren eindeutigen Bezugs- und Orientierungsrahmen verlieren.
Ein nächster Schritt könnte die Ausweitung auf Personengruppen wie z.B. Menschen, die an Demenz erkrankt sind, Menschen mit Behinderung und junge Menschen ab 14 Jahren sein. Wir nehmen Signale war die darauf hinweisen, dass wir demnächst über Tötung auf Verlangen diskutieren werden, da mit der Sterbeverfügung bereits eine sensible Grenze überschritten wurde. Jede weitere Stufe wird uns als Gesellschaft verändern. Wir werden ganz besonders aufpassen müssen!
Wenn zum Beispiel Menschen mit einer Sterbeverfügung diesen Schritt in Einrichtungen des Gesundheitswesens begehen, dann senden wir Doppelbotschaften an jene Menschen aus, die sich uns anvertrauen – darin liegt enormes Konfliktpotential.
Äußerung eines Sterbewunsches, heißt noch lange nicht, dass es sich um eine suizidwillige Person handelt
Wenn eine Person einen Sterbewunsch äußert, heißt dies noch lange nicht, dass diese Person auch eine suizidwillige Person ist. Um Letztere handelt es sich nur dann, wenn auch der Wille zur Selbsttötung vorliegt. Die Erfahrung lehrt uns, dass Menschen, die einen Sterbewunsch äußern uns oft sagen, dass „sie SO nicht mehr weiterleben wollen“. Menschen, die keinen Sinn mehr im Leben sehen, leiden, sich als Last fühlen und in einer existenziellen Krise keinen anderen Ausweg mehr sehen, als sich das Leben zu nehmen, brauchen ein heilsames Gegenüber. Jemanden, der ihre Nöte ernst nimmt und ihnen lebensbejahende Auswege aufzeigt.
Wir lassen niemanden alleine
Eine hospizliche Haltung ist dem Leben zugewandt. Wir lassen niemanden alleine, nehmen Sterbewünsche ernst, Begleitung findet immer statt, … – aber die aktive Unterstützung bei der Selbsttötung würde ins Desaster führen. Das kann auch die Familien der betroffenen Menschen in schwierige Situationen führen, wenn nicht alle den Entschluss mittragen können oder Beeinflussung vermutet wird. Andererseits wird es in den Teams zu großen Problemen führen.
Wir müssen als Gesellschaft alles daransetzen, mit dem Sterbeverfügungsgesetz nicht wieder in eine Situation zu geraten, die uns spaltet. Um das zu vermeiden, müssen wir im Gespräch bleiben und gute Beziehungen untereinander stärken.
Ein Knackpunkt in der Umsetzung des neuen Gesetzes ist die einwandfreie Feststellung der Entscheidungsfähigkeit des suizidwilligen Menschen. Dazu von welcher Profession das sein kann und soll und über den dafür notwendigen Zeitraum und die Ressourcen, die es dafür braucht, gibt es unterschiedliche Zugänge.
Von den Regierungsvertreter*innen wurde gleichzeitig mit der Sterbeverfügung kommuniziert, dass die Hospiz- und Palliativversorgung ausgebaut wird. Österreichweit ist der Ausbaugrad der spezialisierten Hospiz- und Palliativversorgung und der Verbesserung der Grundversorgung im Hinblick auf Palliative Care sehr unterschiedlich. Seit mehr als 25 Jahren setzt sich die Hospizbewegung für eine klare, kostendeckende Finanzierung ein, damit überall wo Hospiz drauf steht auch die vorgegebenen Qualitätsrichtlinien eingehalten werden. Niederösterreich ist bereits sehr gut aufgestellt in der flächendeckenden Betreuung, in der Bedarfsdeckung gibt es noch Nachbesserungspotential und die Personalsituation sowohl im palliativmedizinischen als auch im palliativpflegerischen Bereich wird uns in den nächsten Jahren noch sehr beschäftigen. Unser Wunsch wäre gewesen, dass der Ausbau abgeschlossen und der Gesundheitsbereich bereits reformiert und gut aufgestellt gewesen wäre, bevor das Gesetz zur Sterbeverfügung in Kraft tritt. Das hätte uns aus gesellschaftlicher Sicht sehr geholfen, damit der befürchtete Dammbruch nicht eintritt. Eine Sterbeverfügung darf niemals die Lösung eines Ressourcenproblems sein.
Wenn wir dem entgegenwirken wollen, so ist das einerseits ein strukturelles Thema, das die fachlichen Experten und die politischen Verantwortungsträger der kommenden Jahre beschäftigen wird. Andererseits kann sich jeder Mensch, jede Bürgerin, jeder Bürger daran beteiligen: Die Erfahrung zeigt uns, dass es kaum zu früh sein kann, um mit Menschen, die einem wichtig und nahe sind, darüber zu reden, wie man sich den eignen Lebensabend vorstellt. Das zu benennen, was ich mir aus heutiger Sicht wünsche, öffnet die Türen für vertrauensvolle Gespräche und gute Lösungen, wenn das Thema Sterben näher rückt. Das ist eine gute Voraussetzung für eine gute, vorausschauende Planung.
Als Landesverband Hospiz NÖ sehen wir es als unserer Aufgabe darüber zu informieren, was Palliative Care und Hospizbegleitung leisten kann und wer diese Expert*innen in NÖ sind. Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in diesem Bereich geben durch eine hospizliche Grundhaltung Sicherheit, Vertrauen und Hoffnung und sind Beistand, wo immer es möglich ist. Wir lassen hilfesuchende Menschen nicht allein, behalten die Assistenz zum guten Leben auch in Zukunft im Fokus und beteiligen uns an der Entwicklung der Sorgekultur in unserem Bundesland.
Dafür stehe ich ein –
herzlichst
Klaudia Atzmüller
Quellenverzeichnis
Klaudia Atzmüller ist Vorsitzende und Gründungsmitglied des Landesverbandes Hospiz Niederösterreich. Bevor sie in den Ruhestand getreten ist, war sie Pflegedienstleitung im Pflege- und Betreuungszentrum Melk.
Unter ihrer Leitung konnte dort das erste stationäre Hospiz aufgebaut werden. Jahrelang hat sie in der Weiterbildung und der Projektentwicklung und Evaluierung zur Umsetzung von „HPCPH – Hospizkultur und Palliative Care im Pflegeheim“ mitgewirkt.