Patientenverfügung (verbindlich/beachtlich) versus Vorsorgevollmacht
Was ist vernünftig(er)? Welcher muss Beachtung geschenkt werden?
Vor kurzem kam eine rüstige und resolute 75-jährige Dame zu uns in die NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft (PPA). Sie war total verunsichert, weil ihr bei der geplanten Krankenhausaufnahme mitgeteilt wurde, ihre vor sechs Jahren errichtete Patientenverfügung (PV) sei nicht mehr gültig; darüber hinaus hätte sie ja kein Notar unterzeichnet, man müsse diese also nicht beachten…
Dieses Beispiel und leider auch etliche andere zeigen auf, dass hier, vor allem im Krankenhausbereich, das medizinische und pflegerische Personal teilweise noch zu wenig über das Instrument der Patientenverfügung Bescheid weiß, beziehungsweise Unsicherheit besteht. Manche glauben tatsächlich, lediglich eine „verbindliche Patientenverfügung“ sei gültig, aber eine „beachtliche» bzw. «sonstige» Patientenverfügung brauche man nicht ernst zu nehmen. Auch bei diversen Vorträgen zur Patientenverfügung bemerke ich immer wieder große Unsicherheit bei den Teilnehmern, ob sie nun eine beachtliche oder eine verbindliche Patientenverfügung erstellen sollen.
Unterschied zwischen beachtlicher und verbindlicher PV
Was ist nun der Unterschied zwischen einer beachtlichen und einer verbindlichen Patientenverfügung?
Bei einer verbindlichen Patientenverfügung „fährt sozusagen die Eisenbahn drüber“, das heißt, sie ist unbedingt zu befolgen. Wenn sich ein Arzt vorsätzlich nicht daran hält, erfüllt er den Straftatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung.
Bei der Erstellung muss man deshalb genau formulieren, in welcher Situation welche Maßnahmen abgelehnt werden. Manchen fällt das Formulieren schwer; aus diesem Grund hat die NÖ PPA einen Arbeitsbehelf (mittlerweile die 2. Auflage) herausgegeben.
In weiterer Folge muss die verbindliche PV vor einem Notar, Rechtsanwalt oder einem rechtskundigen Mitarbeiter einer Patientenanwaltschaft (lediglich hier ist dieser Vorgang kostenlos) persönlich errichtet werden.
Nach fünf Jahren beginnt das Prozedere von vorne – man muss wieder zum Arzt und danach zum Rechtsanwalt, Notar oder zur Patientenvertretung.
Verliert man innerhalb der fünf Jahre seine Entscheidungsfähigkeit, sodass die Patientenverfügung nicht mehr erneuert werden kann, bleibt sie verbindlich. Wenn man sie jedoch erneuern könnte, aber nach fünf Jahren nicht mehr dieses Prozedere durchläuft, wird sie nicht, wie manche glauben, ungültig, sondern wird „beachtlich“. In diesem Falle ist sie sogar eine „hoch beachtliche“ Patientenverfügung (da ja alle Formvorschriften einer verbindlichen Patientenverfügung zuvor erfüllt wurden).
Was ist nun die beachtliche Patientenverfügung?
Gleich vorweg, auch eine beachtliche Patientenverfügung muss beachtet werden, das sieht das Patientenverfügungsgesetz ausdrücklich so vor.
Der große Vorteil einer beachtlichen Patientenverfügung ist, dass diese einen gewissen Behandlungsspielraum seitens des Arztes offen hält. Jedoch kann dieser Behandlungsspielraum selbst eingeschränkt oder erweitert werden, indem entweder sehr genau beschrieben wird, was in welcher Situation nicht gemacht werden soll oder man gibt lediglich eine „grobe“ Richtung vor (dann ist natürlich der ärztliche Behandlungsspielraum größer).
Ein weiterer Vorteil einer beachtlichen Patientenverfügung ist, dass sie nicht alle fünf Jahre erneuert werden muss; allerdings nimmt auch ihre Beachtlichkeit im Laufe der Zeit ab. Die NÖ PPA empfiehlt deshalb, diese von Zeit zu Zeit durchzulesen und zu überlegen, ob sie noch immer die persönliche Meinung widerspiegelt. Sie sollte auch nach etwa fünf bis zehn Jahren mit Datum und Unterschrift bekräftigt werden.
Ein weiterer Vorteil der beachtlichen PV ist weiters, dass es nicht erforderlich ist, einen Notar, Rechtsanwalt oder eine Patientenanwaltschaft aufzusuchen; man müsste nicht einmal zu einem Arzt gehen. Der Gang zum Arzt wird seitens der NÖ PPA dennoch dringend empfohlen. Zum einen ist der Arzt eine wertvolle Hilfe bei medizinischen Fragen, denn er soll dem Patienten helfen, die Tragweite seiner Entscheidung besser zu verstehen. Zum anderen bestätigt er, ob man im Zeitpunkt der Erstellung entscheidungsfähig ist. Eine vom medizinischen Laien ohne ärztliche Beratung erstellte Patientenverfügung wird wenig beachtlich sein.
Auch eine beachtliche Patientenverfügung ist zu beachten und eine wertvolle Entscheidungshilfe!
Sie ist ein deutlicher Hinweis auf den Patientenwillen, und man ist deshalb nicht auf Mutmaßungen bezüglich des Patientenwillens angewiesen. Das Selbstbestimmungsrecht ist in der Patientencharta klar formuliert und eines der höchsten Patientenrechte (strafrechtlich abgesichert).
Wenn eine Patientenverfügung erstellt wurde, egal ob verbindlich oder beachtlich, und man sich noch klar äußern kann, gilt immer der aktuell ausgesprochene Wille. Erst wenn man sich nicht (mehr) äußern kann, muss auf die Patientenverfügung eingegangen werden.
Für jene, die ihre Patientenverfügung (egal, ob verbindlich oder beachtlich) nicht händisch ausfüllen möchten, hat die NÖ PPA dafür ein Online-Formular entwickelt.
Was ist, wenn keine Patientenverfügung vorliegt?
Wenn es keine Patientenverfügung gibt, ist der „mutmaßliche Patientenwille“ zu berücksichtigen. Dieser ist oft gar nicht so leicht zu ergründen, vor allem dann, wenn Angehörige verschiedener Meinung sind oder nicht wissen, was der (mutmaßliche) Wille des Betroffenen ist.
Um hier eine Hilfe zu schaffen, wurde vor kurzem, mit viel Einsatz und Engagement, von Hospiz Österreich ein sehr hilfreiches Kommunikationsinstrument, der Vorsorgedialog, entwickelt. Vorerst wurde er für die Langzeitpflege erarbeitet. Ich hoffe, dass dieses Instrument zukünftig auch auf den Krankenhausbereich ausgedehnt wird.
In der Kurzinformation zum Vorsorgedialog von Hospiz Österreich steht folgendes:
„Der VSD VORSORGEDIALOG® für Alten- und Pflegeheime Österreichs stellt den Betreuenden (Pflege und ÄrztInnen) einen strukturierten Kommunikationsprozess für die Durchführung von Gesprächen mit den BewohnerInnen zur letzten Lebenszeit zur
Verfügung. Es geht um die Wünsche und Vorstellungen der BewohnerInnen für ein gutes Leben im Pflegeheim, aber auch darum, was BewohnerInnen wichtig ist, wenn das Sterben absehbar und nah ist. Dieses Kommunikationsinstrument nimmt die Selbstbestimmung der BewohnerInnen ernst und stärkt sie. Gleichzeitig unterstützt der VSD Vorsorgedialog Pflege und ÄrztInnen bei ethisch schwierigen Entscheidungen am Lebensende, z.B. in aktuellen Krisensituationen oder wenn das Sterben absehbar ist.“ Dieser Vorsorgedialog entspricht in rechtlicher Hinsicht einer „beachtlichen Patientenverfügung“ und ist selbstverständlich zu beachten und eine sehr wichtige Grundlage zur Entscheidungsfindung. Nähere Infos dazu finden Sie im Expertenletter von Frau Sonja Thalinger, MSc.
Forderung nach Novellierung des Patientenverfügungsgesetzes
Das Patientenverfügungsgesetz gibt es seit mittlerweile zwölf Jahren.
In der Praxis zeigt sich, dass die vom Gesetz geforderten Formalismen und auch die Kosten für viele Patienten eine Hürde darstellen, die sie von der Errichtung einer Patientenverfügung abhält. Kann man diese Hürde zu Beginn im Sinn einer „wohl überlegten Entscheidung“ noch argumentieren, so scheint sie aber bei der Erneuerung doch zu hoch.
Die Parlamentarische Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“ beschloss am 24.6.2014 unter anderem folgende Forderungen:
- Vereinfachungs- und Attraktivierungsmaßnahmen zur Patientenverfügung und zur Vorsorgevollmacht, sie sollen von allen Institutionen gemeinsam mit den Bundesministerien für Gesundheit und für Justiz ausgearbeitet und umgesetzt werden.
- Texte und Formulare sollen bürgertauglicher bzw. bestmöglich anwendungsorientiert gestaltet werden ohne dadurch die erforderlichen Sicherheitskriterien zu vermindern.
- Die Verlängerung bestehender Fristenregelungen bzw. Vereinfachungen bei Verlängerungen sollen geprüft und ehebaldigst Neugestaltungen vorgenommen werden.
- Weiters sollten Fragen zu Möglichkeiten einer generellen und spezialisierten Patientenverfügung und hinsichtlich einer Zusammenführung von beachtlicher und verbindlicher Patientenverfügung besprochen werden.
Die bisherigen unterschiedlichen Register zur Patientenverfügung bei Anwälten und Notaren sollen bis 2016 zu einem einheitlichen Register zusammengeführt werden.
- Patienten/innen sollten bei der Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung finanziell entlastet werden. Dies kann beispielsweise über die Patientenanwaltschaften geschehen, wie es heute schon in Wien, Niederösterreich und Salzburg der Fall ist. Hier wird die Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung bereits kostenlos angeboten.
- Unter Berücksichtigung bestehender Möglichkeiten sollten seitens der beteiligten Ministerien Gespräche mit den Krankenkassen aufgenommen werden, mit dem Prüfziel, dass die Krankenkassen einen vertretbaren Kostenbeitrag im Zusammenhang mit der Errichtung einer Patientenverfügung übernehmen.
- Es soll seitens des Bundesministeriums für Gesundheit sichergestellt werden, dass in der elektronischen Gesundheitsakte ELGA bzw. auf der E-Card erkennbar ist, ob ein Patient eine Patientenverfügung errichtet hat, um z.B. in Spitälern eine routinemäßige Überprüfung rasch und einfach durchführen zu können.
Daher hoffe ich sehr, dass es baldigst zu einer Novellierung des Gesetzes und damit zu einer „Erleichterung“ bei der Erstellung einer Patientenverfügung kommt.
Das neue „2. Erwachsenenschutzgesetz“
Auch das neue „2. Erwachsenenschutzgesetz“ (2. ErwSchG), welches mit 1. Juli 2018 in Kraft tritt, berücksichtigt das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person zukünftig in einem viel größeren Ausmaß als es das bisherige Sachwalterrecht tat.
Auch dazu gibt es aufschlussreiche Letter von Frau Mag. Fritz sowie von Herrn Dr. Peter Barth.
Vorsorgevollmacht versus Patientenverfügung
Bei meinen Vorträgen zur Patientenverfügung werde ich regelmäßig auf die Vorsorgevollmacht angesprochen und manchmal gefragt, ob es nicht „besser“ sei, eine Vorsorgevollmacht anstatt einer Patientenverfügung zu erstellen?
Während bei einer Patientenverfügung der Patient selbst entscheidet, welche Behandlungen er nicht mehr möchte, überträgt er im Rahmen einer Vorsorgevollmacht diese Entscheidung einer anderen Person.
In einer Vorsorgevollmacht können „nicht nur“ gesundheitliche Angelegenheiten geregelt werden, sondern auch wirtschaftliche und finanzielle. Sie ist eine gute Möglichkeit, einer Person seines Vertrauens die volle Entscheidungsfähigkeit zu überlassen. Dies gilt – ebenso wie bei der Patientenverfügung – für den Fall, dass selbstständig keine Entscheidungen mehr getroffen werden können.
Das Wichtigste bei der Erstellung einer Vorsorgevollmacht sind aus meiner Sicht folgende Kriterien:
- Eine Person zu haben, auf die man sich zu 100 % verlassen kann und
- Diese Person gewillt ist, im Sinne des Vollmachtgebers dementsprechend zu handeln.
Wenn dies zutrifft, kann man sich getrost „zurücklehnen“ und braucht keine Angst zu haben, dass eventuell eine „fremde Person“ im Falle des Falles über einen bestimmt.
Besonders bei gesundheitlichen Entscheidungen (z. B.: Zustimmung zur künstlichen Ernährung, Beatmung etc.) tun sich Angehörige, die zum Vorsorgebevollmächtigten bestellt wurden, oft besonders schwer. Deshalb kann hier eine Kombination von Vorsorgevollmacht und PV sehr hilfreich sein.
Ein Beispiel: Mit einer beachtlichen Patientenverfügung wird eine Richtung vorgegeben (an die sich, nebenbei bemerkt, selbstverständlich auch der Vorsorgebevollmächtigte halten muss). Alles, was darüber hinausgeht oder nicht klar formuliert wurde, darf die vorsorgebevollmächtigte Person entscheiden.
Auch bei der Vorsorgevollmacht wird es künftig durch das neue 2. ErwSchG eine „Erleichterung“ bei der Erstellung geben. So wird es mit 1. Juli 2018 möglich sein, diese nicht nur bei einem Notar oder Rechtsanwalt, sondern auch bei einem Erwachsenschutzverein (vormals Sachwaltervereine) erstellen zu können. Die Kosten werden dadurch auch wesentlicher geringer und belaufen sich voraussichtlich auf ca. 85 €1. Allerdings hat der Verein die Errichtung abzulehnen, wenn der Vollmachtgeber Unternehmungen, Stiftungen oder Liegenschaften oder im Ausland befindliche sonstige Vermögenswerte zum Gegenstand machen möchte oder sonst besondere Rechtskenntnisse erforderlich sind.2
Ich hoffe sehr, dass bis dahin die Erwachsenenschutzvereine auch mit den dafür nötigen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden.
Abschließen darf ich mit dem Zitat von Hans Kasper (*1916), einem deutschen Schriftsteller und Hörspielautor: „Es ist besser, Deiche zu bauen, als darauf zu hoffen, dass die Flut allmählich Vernunft annimmt.“
Hinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit wurde auf eine geschlechterneutrale Schreibweise verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen, welche in der männlichen Form genannt wurden, gelten selbstverständlich gleichermaßen für beide Geschlechter.
Nachtrag:
Ende 2018 gab es eine PatVG-Novelle, diese ist seit 16. Jänner 2019 in Kraft. Unter anderem muss eine verbindliche Patientenverfügung nun nicht mehr nach 5 Jahren sondern erst nach 8 Jahren erneuert werden.
Quellenverzeichnis
1 § 4e Erwachsenenschutzvereinsgesetz idF BGBL. I Nr.59/2017 (Gültig ab 01.07.2018)
2 §§ 4c bis 4e Erwachsenenschutzvereinsgesetz (ErwSchVG)
Über den/die Autor/In
Geboren 1963 in St. Pölten, diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, verheiratet, vier Kinder, zwei Enkelkinder
Martin Kräftner erlernte zunächst den Beruf des Orgelbauers, beim Zivildienst entdeckte er sein Interesse für die Krankenpflege. Er diplomierte im Jahre 1986 im Wilhelminenspital in Wien und war danach auf einer Intensivstation sowie einer chirurgischen Abteilung tätig. Später wechselte er in den Geriatriebereich, wo er 8 Jahre in leitender Funktion einer Pflegeeinrichtung in Niederösterreich tätig war. Insgesamt hat er 15 Jahre praktische Erfahrung als Krankenpfleger.
Neben vielen Ausbildungen und Seminaren (Validation, Wundmanagement, Qualitätssicherung, die Arbeit des allgemein beeideten u. gerichtlich zertifizierten Sachverständigen, Beschwerdemanagement – Riskmanagement, Akademie für Familienpädagogik Wien – Ausbildung zum Familientrainer, …) absolvierte er 1993 den Sonderausbildungskurs für leitendes Pflegepersonal mit ausgezeichnetem Erfolg im Kaiserin Elisabeth Spital in Wien. 2002 absolvierte er den interdisziplinären Lehrgang Palliative Care universitären Charakters.
Seit September 2001 ist er in der NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft für den Bereich Pflege/Management tätig.
Arbeitsschwerpunkte
- Konzept und inhaltliche Betreuung der Website www.patientenanwalt.com Erstellung des regelmäßig erscheinenden Newsletters der NÖ PPA Bearbeitung von Beschwerden vor allem im pflegerischen Bereich Besprechungen mit KlientInnen
- Statistische Auswertungen, (Tätigkeitsbericht, Österreichbericht …)
- Mitarbeit beim NÖ Patienten- Entschädigungsfonds
- Öffentlichkeitsarbeit, Vortragstätigkeiten (u.a. in d. Fachhochschule in Krems) Mitarbeit und Leitung von Projekten, Arbeitskreisen
Zusätzliche Tätigkeiten
- Zertifizierter Partnerschaftstrainer
- Referent der Akademie für Familienpädagogik