Projekt Acute Community Nurse
Akute Primärversorgung, Entlastung und Verstärkung des Gesundheits-, Rettungs- und mobilen Pflegesystems in Niederösterreich.
Die Einsatzzahlen in Rettungsdienst und Krankentransport und damit die Einlieferungen in die Kliniken und ambulanten Behandlungen steigen durch die Demografie, dem Mangel an AllgemeinmedizinerInnen und hochqualifizierten Kräften für die Hauskrankenpflege. In vielen Fällen liegen chronische oder akutpflegerische Probleme vor, die teilweise durch Versorgung vor Ort lösbar wären. Insbesondere hochbetagte Patientinnen und Patienten müssen unnötig über weite Strecken transportiert und werden dadurch belastet. Das erhöht gleichzeitig die Überlastung der klinischen Ressourcen und reduziert die Verfügbarkeit von Rettungsteams für Notfälle.
Pilotprojekt als Problemlöser
Im Mai 2020 startete Notruf NÖ deshalb ein Pilotprojekt bei dem sogenannte „Acute Community Nurses“ (ACN) eingesetzt werden. Ergibt die notfallmedizinische bzw. pflegerische Abfrage über 144, 141 oder der telefonischen Gesundheitsberatung 1450, dass die Situation vor Ort evtl. durch eine pflegerische Intervention gelöst, oder der Rettungsdienst unterstützt werden kann, wird eine ACN entsandt. Diese MitarbeiterIn begibt sich mit notfallmedizinischer und pflegerischer Ausrüstung zum Einsatzort. Die ACN führt akutpflegerische Interventionen wie Wiederherstellung der Funktion ableitender Systeme (zB. Harnkatheter, Enterostoma) oder auch Katheterwechsel durch, unterstützt pflegende Angehörige durch unmittelbare Beratung und Anleitung und löst somit Probleme vor Ort. So muss nicht mehr jeder Patient mit einem abgelösten Verband wieder zurück ins Spital, Schwierigkeiten mit einem medizinischen Gerät die zu einem Rettungseinsatz führen, können durch zB Nachschärfung in der korrekten Anwendung eines Blutzuckermessgerätes oder der Empfehlung von alltagstauglichen und praktikablen Grundregeln im Umgang mit Harnkatheter durch Patienten- und Angehörigenschulung vermieden werden. Insgesamt sollen Versorgungsprozesse durch ein Nahtstellenmanagement zwischen den HausärztInnen, Pflegediensten und SozialarbeiterInnen in der Region verbessert werden. Die ACN kennen die lokalen Ansprechpartner und vermitteln PatientInnen innerhalb dieses Netzwerks.
Duale Berufsbilder
Nachdem die diplomierten Pflegekräfte auch gleichzeitig die höchste Ausbildung im nicht-ärztlichen Rettungsdienst vorweisen können – sie sind NotfallsanitäterInnen mit besonderer Notkompetenz – können sie auch dazu beitragen den Rettungsdienst zu unterstützen. Gerade bei Einsätzen, welche wie bei einer Zuckerentgleisung beispielsweise eine Medikamentengabe bedürfen, jedoch aber nicht zwingend durch eine Notärztin oder Notarzt erfolgen müssen, können die ACN optimal unterstützten. So wird die ACN auch als nächstgelegenes Fahrzeug zum Notfalleinsatz gesandt und arbeitet dort mit den Rettungswagen der Einsatzorganisationen zusammen und überbrückt ggfs. die Zeit bis zum Eintreffen notärztlicher Hilfe.
Eine Entlastung des Gesundheitssystems kann erreicht werden, indem rund um die Uhr akut erforderliche pflegerische- und Erstversorgungen sowie Dringlichkeitseinschätzungen am Wohnort durchgeführt werden. Vor allem zu jenen Uhrzeiten wo reguläre Gesundheitsdienstleister wie mobile Pflege- oder Hospizdienste, aber auch niedergelassene Ärzte nicht zur Verfügung stehen. Das zeigt auch, dass meisten pflegerischen Interventionen Freitag, Samstag und Sonntag und hier vor allem zwischen 15 und 23 Uhr notwendig waren. Ein weiterer Vorteil ist, dass nach den meisten Akutmaßnahmen die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten im niedergelassenen Bereich weiterversorgt werden können. Eine weitere Prämisse ist die interdisziplinäre Kooperation. Beispielsweise funktioniert bereits die Vernetzung mit den regionalen Palliativteams sehr gut, die ACN absolvieren hier bereits auch Praktika oder tauschen sich im Einsatzfall und auch vorbeugend über einzelne PatientInnen aus. Die regelmäßige Kontaktaufnahme der ACN mit mobilen Pflegediensten oder behandelnden ÄrztInnen ist ein wichtiger Baustein des Versorgungsablaufes, indem ein Informationsaustausch während oder nach einer Intervention erfolgt, oder von den Regelversorgern auch Anordnungen eingeholt werden. Die ACN wollen allerdings nicht direkt in die Routineversorgung der örtlichen Gesundheitsdienstleister eingreifen. Sie verstehen sich als Problemlöser. Deshalb sind für sie wiederkehrende Routinetätigkeiten über längere Zeiträume nicht möglich. Dies würde automatisch zu einer nicht beabsichtigten Konkurrenzsituation beispielsweise mit ambulanten Pflegediensten führen.
Ausblick
Das Pilotprojekt Acute Community Nurse wird auch aufgrund der Studienergebnisse der GÖG – Gesundheit Österreich GmbH – welche die angepeilten Ziele einer Entlastung des Systems und einer Verbesserung der Versorgungssituation der Bevölkerung mehr als erfüllt sehen, in einer weiteren Ausbauphase geführt. Über die nächsten Jahre werden zusätzlich zu den aktuell 5 Standorten bis zu 5 weitere Standort in Betrieb genommen. Neben dem ersten Projektstandort Bruck/Leitha (seit 2020), sind aktuell St. Pölten, Stockerau, Leobersdorf und Waidhofen/Thaya seit 2023 in Betrieb. Mehr Informationen auf
Über den/die Autor/In
Christian Fohringer absolviert das BG Josefstraße St. Pölten und studiert nach dem Wehrdienst in Wien Medizin. Nach dem Turnus und Beginn der Ausbildung zum Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin im Krankenhaus Lilienfeld wechselt er ins AKH Wien und danach ins Universitätsklinikum St. Pölten, wo er bis zuletzt als Oberarzt tätig war. Seit 2014 engagiert er sich in unterschiedlichen Positionen bei Notruf Niederösterreich und wird 2017 medizinischer Leiter und schließlich 2023 Geschäftsführer.