Rahmenbedingungen einer demenzgerechten Betreuungs- und Pflegeversorgung

Rahmenbedingungen einer demenzgerechten Betreuungs- und Pflegeversorgung

In Österreich leben geschätzt rund 160.000 -170.000 Menschen mit einer Form einer demenziellen Beeinträchtigung. „Demenz“ bezeichnet als Überbegriff die klinische Ausprägung unterschiedlicher neurologischer Erkrankungen, die häufigste Form ist mit rund 70 – 75 Prozent aller Demenzformen die Alzheimer Demenz, weitere häufige Formen sind die vaskuläre Demenz oder die Lewy Body-Demenz.

Hohes Alter ist zwar ein bedeutender Risikofaktor, um an einer Demenzform zu erkranken, jedoch muss betont werden, dass diese neurodegenerativen Erkrankungen nicht zwingend mit dem Alter verbunden sind. Die Ursachen können sehr unterschiedlich sein und sind noch nicht gänzlich erforscht. Wesentliche weitere Risikofaktorensind Hör- und Sehminderung, hoher Cholesterinspiegel, Hypertonie, Rauchen, Adipositas, depressive Störungen, körperliche Inaktivität, Diabetes Mellitus, übermäßiger Alkoholkonsum, traumatische Hirnverletzung, Umweltverschmutzung und soziale Isolation. Effektive Demenzprävention soll daher in jedem Lebensalter ansetzen.

Eine demenzgerechte Betreuungs- und Pflegeversorgung erfordert daher ein Zusammenspiel von einem vielfältigen Angebot, rechtzeitiger Unterstützung und Prävention, die gezielt auf die Bedürfnisse von Betroffenen und Angehörigen abgestimmt sind – und dabei auch die vielfältigen Ursachen berücksichtigen.

1        Die österreichische Demenzstrategie „Gut leben mit Demenz“

Die österreichische Demenzstrategie „Gut leben mit Demenz“ wurde im Jahr 2015 in einem partizipativen Prozess mit über 100 Personen entwickelt und hat unter anderem zum Ziel, gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Demenz und ihren An- und Zugehörigen zu stärken und zu unterstützen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.

Zu gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Demenz zählt auch die Beteiligung an politischen und strategischen Prozessen. So wurden bereits bei der Entwicklung der Ziele der Demenzstrategie und auch in den darauffolgenden Jahren bei der Umsetzung der Handlungsempfehlungen zur Erreichung der Ziele betroffene Menschen mit einbezogen vor allem in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen können Menschen mit Demenz aktiv bei der Umsetzung der Demenzstrategiebeitragen. Um die Beteiligung der Menschen, die von kognitiven Veränderungen betroffen sind, aktiv zu gestalten, wurde im Jahr 2021 auf Bundesebene eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich aus Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen und ihren Unterstützer:innen zusammensetzt. Sie nehmen teil in Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themenbereichen, gestalten Broschüren und Fachpapiere mit und sind aktiv bei Öffentlichkeit- und Medienarbeit.

Mit ihren sieben Zielen strebt die Demenzstrategie an, Teilhabe von Menschen mit Demenz zu stärken und den Blick von den mit Demenz verbundenen Beeinträchtigungen auch hin zu den vorhandenen Ressourcen zu lenken. Damit soll auch das Bild rund um Demenz, welches in der Öffentlichkeit herrscht, von einem rein defizitorientierten Ansatz hin zu einem positiveren und ressourcenorientierten Bild geändert werden. So wurde gemeinsam mit Betroffenen ein Leitfaden für demenzsensible Sprache (Demenz in Sprache und Bild) erarbeitet, welcher die Stärken und Ressourcen von Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen in den Vordergrund rückt. Sprache prägt die Wirklichkeit, weshalb ein wertschätzender und respektvoller Umgang mit positiver und achtsamer Wortwahl beginnt. Zudem wurde ein Ratgeber von Betroffenen für Betroffene in der Arbeitsgruppe der Selbstvertretungen entwickelt und publiziert. Die Broschüren sind auf der Website www.demenzstrategie.at zum Download verfügbar oder auch als Druckexemplar bestellbar.

Abbildung: die 7 Wirkungsziele der österreichischen Demenzstrategie

Quelle: GÖG www.demenzstrategie.at

Demenz als gesellschaftliche Verantwortung ist in den Wirkungszielen 1 bis 3 vorrangiges Thema. Darüber hinaus werden auch die Weiterentwicklung der Angebote im Rahmen der Demenzversorgung als Ziel definiert (in den Wirkungszielen 5 und 6), genauso wie die Zusammenarbeit von Forschung und Praxis zur Verbesserung der Qualität der Unterstützungsangebote und Dienstleistungen für Menschen mit Demenz und ihren An- und Zugehörigen (in den Zielen 4 und 7).

2        Rechtzeitige und personenzentrierte Begleitung und Unterstützung

Ein primäres Ziel der Demenzstrategie ist es, durch Entstigmatisierung und Bewusstseinsarbeit die Angst vor der Krankheit zu nehmen und so früh wie möglich Beratung, Betreuung und Begleitung für Betroffene und ihre An- und Zugehörigen nach dem Auftreten der ersten Anzeichen einer demenziellen Beeinträchtigung anzubieten. Durch die frühe Erkennung und die früh einsetzende soziale, psychologische, nichtmedikamentöse oder medikamentöse Unterstützung kann

  • das Fortschreiten der demenziellen Beeinträchtigung verlangsamt,
  • die Selbstständigkeit der Betroffenen gefördert und verlängert,
  • eine Auseinandersetzung und Beschäftigung mit den diversen Veränderungen gewährleistet werden,
  • Partizipation und Teilhabe im Lebensumfeld gesteigert und
  • eine vermehrte bzw. erhöhte Selbstbestimmung der betroffenen Menschen erlangt
  • und letztendlich eine gute Lebensqualität gesichert werden.

Wesentliches Kennzeichen einer zielgerichteten Unterstützung muss sein, dass diese niederschwellig, barrierefrei und wohnortnah angeboten wird und Information, Beratung, Früherkennung und Begleitung durch kompetente und ganzheitliche Unterstützung für Betroffene anbietet. Dies soll durch berufsgruppen- und sektorenübergreifende Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams erfolgen, um die umfassenden Bedürfnisse auch abdecken zu können.

Ein weiteres Anliegen ist es, ein Rahmenkonzept für Formen der rechtzeitigen Unterstützung gemeinsam mit Betroffenen, Entscheidungsträger aus den Bundesländern, Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis und aufbauend auf den vorhandene Erfahrungen zu konzipieren und Qualitätskriterien nach internationalen und nationalen Vorbildern zu schaffen.

3        Unterstützung, Betreuung und Pflege zu Hause

Ziel muss sein, Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen ein selbständiges Leben zu ermöglichen und Unterstützung zur Selbstfürsorge anzubieten. Dazu sind, neben qualifizierten, auf die Bedürfnisse der Menschen mit Demenz ausgerichteten mobilen pflegerischen Diensten und Unterstützung im Alltag auch verstärkt psychosoziale Angebote und Interventionen erforderlich, die insbesondere frühzeitig ansetzten. .

Diese haben auch einen hohen präventiven Ansatz und können den Verlauf der Beeinträchtigungen teilweise verzögern oder den Betroffenen helfen, den Alltag mit ihren Beeinträchtigungen besser zu gestalten.

Psychosoziale Interventionen umfassen:

  • Interventionen zur Verbesserung der körperlichen Parameter und Aktivitäten des täglichen Lebens, wie z.B. Ergotherapie, Physiotherapie, Orthoptik, Logopädie, Ernährung, Diätologie oder verhaltenstherapeutische Maßnahmen und Milieutherapie
  • Interventionen zur Verbesserung / Stabilisierung der Kognition wie kognitive Trainings und Stimulation, Realitätsorientierung und autobiografische Arbeit
  • Interventionen zur Verbesserung der psychischen Parameter, wie z.B. psychologische/psychotherapeutische Behandlung von Depressionen und depressiven Verstimmungen
  • Interventionen zur Förderung / Unterstützung von sozialen Aktivitäten, wie z.B. Freizeitbegleitung, Unterstützung bei Aktivitäten oder Selbsthilfegruppen von und für Betroffene
  • Interventionen zur Unterstützung der Angehörigen

Nur eine ganzheitliche Betrachtung und damit ein ganzheitliches Angebot an Unterstützung kann die Bedürfnisse der Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen auch decken und deren Selbständigkeit fördern.

4        Leben in stationären Wohnformen

Ziel ist es, Teilhabe, Würde und die Begegnung mit den Mitbewohner:innen im Wohnort Pflegeheim zu fördern und anzubieten. Der Fokus beim Leben in stationären Wohnformen soll auf den Aspekt des Wohnens liegen. In Österreich werden dazu bereits passende Wohnformen angeboten, wie zum Beispiel

  • Integratives Wohnen von Menschen mit und ohne Demenz
  • Hausgemeinschaftsmodelle
  • Demenz-Wohngemeinschaften
  • Heime mit eigenen Demenzstationen
  • Spezialeinrichtungen für Menschen mit fortgeschrittener Demenz/gerontopsychiatrischen Diagnosen
  • Pflegeoasen

Die Herausforderung besteht darin, kleine, überschaubare Strukturen anzubieten, die zugleich in den Sozialraum der Gemeinde integriert sind. Dabei soll sowohl ein Fokus auf die Achtung der Privatsphäre als auch eine Alltagsgestaltung unter Berücksichtigung von personenzentrierten Konzepten gelegt werden. Pflegepersonalmangel verschärft diese Herausforderungen, wobei hier Interprofessionalität als neuer Denkansatz eine Lösung sein kann

5        Mit Demenz im Krankenhaus

Ein Krankenhaus kann für Menschen mit Demenz eine herausfordernde und beängstigende Situation darstellen– häufig auch für ihre Angehörigen. Ältere Menschen können durch einen Ortswechsel wie etwa die Aufnahme in ein Krankenhaus destabilisiert werden. Insbesondere Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen weisen somit auch ein höheres Risiko auf, während des Krankenhausaufenthalts ein Delir zu entwickeln. Häufig ist die (Neben-) Diagnose Demenz unerkannt bzw. wurde Demenz, Delir und Depression nicht rechtzeitig oder korrekt diagnostiziert und differenziert.

Im Rahmen der Umsetzung der Demenzstrategie wurde daher eine Orientierungshilfe für Entscheidungsträger:innen und Führungskräfte in Krankenanstalten entwickelt. Diese zeigt praxisorientierte Maßnahmen und Projekte auf die den Krankenhausaufenthalt für Patientinnen und Patienten mit demenziellen Beeinträchtigungen so gestalten, dass belastende Situationen für diese, deren Angehörige und für Mitarbeiter:innen reduziert werden.

Durch niederschwellige, barrierefreie und multiprofessionelle Ansätze können Belastungen reduziert, Ressourcen gestärkt und eine aktive Teilnahme am Leben gesichert werden. Der Fokus auf die genannten Bereiche sowie auf die Umsetzung notwendiger Interventionen bleiben eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung, die sowohl innovative Denkansätze als auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik erfordert.

Quellenverzeichnis

Mayer, Lisa Katharina (2023): Frühzeitige Unterstützung bei demenziellen Erkrankungen und Beeinträchtigungen – Status quo und Perspektiven in Österreich. Gesundheit Österreich, Wien

Links:

https://www.demenzstrategie.at/de/Materialien/Demenz-im-Krankenhaus.htm
https://www.demenzstrategie.at/de/Materialien/Materialien-fuer-Betroffene-und-Angehoerige.htm
https://www.demenzstrategie.at/de/Materialien/Oeffentlichkeitsarbeit-Videos_Filme.htm

Über den/die Autor/In

Brigitte Juraszovich ist Ökonomin und arbeitet seit 1992 an der GÖG als Senior Health Expert in der Abteilung Gesundheitsberufe und Langzeitpflege.

Arbeitsschwerpunkte sind Begleitung der Umsetzung der Demenzstrategie und Projekte im Bereich Personalbedarf in der Langzeitbetreuung, Strukturplanung und Bedarfsprognosen.