Wahlärzte
Ein verzichtbarer Luxus?
Vorschläge einer Reform des Kassenärztebereiches gibt es seit langem, jüngst ist diese Diskussion am Thema der Wahlärzte heftig aufgeflammt. Die Wahlärzte sollen zurückgedrängt oder abgeschafft werden, um die kassenärztliche Versorgung zu verbessern. Das Thema polarisiert und zeigt diametrale Positionen von Krankenkassen und Ärztekammern.
Befindlichkeiten und Interessen von Ärztekammern und Krankenversicherungen sind wichtig und oft im Zentrum der Diskussion. Letztlich ausschlaggebend ist aber, was in einem solidarischen Gesundheitssystem die bestmögliche Versorgung aller oder möglichst vieler PatientInnen ermöglicht.
Unbestritten ist, den kassenärztlichen Bereich zu stärken
Vorausschicken möchte ich, dass das Ziel, den kassenärztlichen Bereich zu stärken und zukunftsfit zu machen, unbestritten und zu unterstützen ist. Fraglich ist, ob es Sinn macht und nicht zu kurz greift, primär und als erstes auf Wahlärzte zu fokussieren und nicht vorher die Rahmenbedingungen im kassenärztlichen Bereich zu verbessern. Kein Wahlarzt wird, bei gleichbleibendem Umfeld, bereit sein freiwillig zu wechseln. Hier großen Druck oder Zwang auszuüben wird zu beträchtlicher Unzufriedenheit bei den Wahlärzten und damit wiederum einer schlechten PatientInnenversorgung führen. Dazu kommt, dass das kassenärztliche System bereits vollkommen ausgelastet, ja überlastet ist. Zusätzliche PatientInnen, die derzeit von den Wahlärzten versorgt werden, werden zu einer weiteren Überlastung der Kassenmedizin führen. Damit sind dann nicht nur Nachteile für die bisherigen WahlarztpatientInnen gegeben, sondern auch für die KassenpatientInnen, da sich die Versorgung noch weiter verschlechtern wird. Die Wartezeiten für KassenpatientInnen werden sich noch wesentlich verlängern und die bereits jetzt extrem kurze Zeit, Stichwort „5 Minuten Medizin“ für KassenpatientInnen, wird sich noch weiter verkürzen.
Grundsätzlich spricht in einem offenen, liberalen Gesundheitssystem, das die Wahlfreiheit der PatientInnen hoch bewertet, nichts gegen eine zusätzliche wahlärztliche Versorgungsmöglichkeit. Es muss und soll in der Privatautonomie der Menschen liegen, ob sie, zusätzlich zu den verpflichtenden Sozialversicherungsabgaben, sich noch weitere finanzielle Ausgaben für ihre Gesundheit leisten wollen. Dieses System hat aber die zentrale Voraussetzung, dass das kassenärztliche System eine angemessene und gute Versorgung für die sozialversicherten PatientInnen anbietet. Das bedeutet etwa, dass die Wartezeiten auf Termine kurz sind, dass genügend Zeit für die ärztliche Betreuung gegeben ist und, wie von PatientInnen und ÄrztInnen immer wieder gefordert, ausreichend Zeit für ein ärztliches Gespräch und damit Zuwendungsmedizin möglich ist.
Wie ist also der aktuelle Status im kassenärztlichen Bereich und welche Tendenzen sind zu erkennen?
Die seit Jahrzehnten bestehenden Einzelordinationen für Allgemeinmedizin haben Lob und Anerkennung verdient und sind durchwegs von sehr engagierten ÄrztInnen betrieben worden. In der Zwischenzeit hat aber ein rascher gesellschaftlicher Wandel eingesetzt, der es sehr zweifelhaft macht, ob diese Versorgungsmodelle noch zukunftsfähig sind.
Noch vor wenigen Jahren hat es bei nahezu jeder zu besetzenden Kassenvertragsstelle mehrere Bewerber gegeben. Heutzutage gibt es bereits viele Kassenplanstellen, vor allem im ländlichen Bereich, die jahrelang nicht besetzt werden können. Dieser Trend wird sich noch massiv verstärken, wenn in den nächsten Jahren 60% bis 70% der KassenvertragsärztInnen in Pension gehen. Die junge Generation der ÄrztInnen ist nicht mehr bereit in diese veralteten Strukturen einzutreten, da sie gewohnt sind, im Team zu arbeiten, multiprofessionell tätig zu sein und ein Höchstmaß an „work lifebalance“ und flexible Arbeitszeitmodelle verlangen. Diese Anforderungen sind aber nur dann zu erreichen, wenn Versorgungsmodelle mit einer gegliederten, flexiblen Organisationsform vorhanden sind.
Primärversorgungsmodelle
Ein erster Teil der Antwort sind also Primärversorgungsmodelle, mit Primärversorgungszentren.
Diese Reformprozesse im kassenärztlichen Bereich müssen durch weitere Interventionen verstärkt werden.
Die Vertragspartner, Krankenversicherungsträger und Ärztekammern, benötigen dringend Unterstützung und Steuerung. Sie haben bewiesen, dass sie seit Jahrzehnten unfähig sind grundlegende Reformen umzusetzen. Ergebnis ist oft der kleinste gemeinsame Nenner, also eine Minimalvariante, aber nicht das bestmögliche Ergebnis. Inhaltlich-rechtliche Vorgaben und Zeithorizonte sind nötig.
Honorierung
Die zweite Intervention betrifft eine umfassende Reform des Honorierungssystems. Es geht nicht um eine Erhöhung der Honorare. Es geht um eine grundsätzliche Umstellung des Einzelleistungsvergütungssystems auf ein pauschaliertes Honorierungssystem. Noch wichtiger, um eine Umstellung von dem bisherigen System, das Quantitäten belohnt, auf ein Honorierungssystem, das Qualität belohnt und dafür Anreize setzt. Solche Systeme sind unter dem Begriff „pay for performance“ oder „pay for quality“ oder auch „value based“ Honorierung bekannt.
Wenn alle diese Reformschritte erfüllt sind und damit die Attraktivität des kassenärztlichen Bereiches wiedergegeben ist, erübrigt sich der Ruf nach Abschaffung der Wahlärzte.